Ein erschütternder Briefwechsel

Der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in der Gedenkstätte Auschwitz hat einmal mehr die immer wieder kehrende Frage aufkommen lassen: Wie war es möglich, dass ein solches Terrorregime entstehen konnte? Oder –  um es vielleicht noch einfacher zu sagen: Wie können Menschen anderen Menschen so etwas antun? Hannah Arendt spricht von der Banalität des Bösen und wahrscheinlich kommt sie den Ursachen, wenn man davon überhaupt sprechen kann, am nächsten. Das Buch „Adressat unbekannt“, das bereits 1938 erstmals erschien, gibt meines Erachtens eine ähnliche Antwort. Die amerikanische Autorin Kathrine Kressmann Taylor hat diesen Roman veröffentlicht, der einen Briefwechsel zwischen dem Deutschen Martin Schulse und dem amerikanischen Juden Max Eisenstein beinhaltet.

Beide betreiben zunächst eine Kunstgalerie in Kalifornien, als sich Schulse 1932 entschließt, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Schon nach kurzer Zeit schließt er sich den Nazis an und wird ein fanatischer Anhänger der Nationalsozialisten. Zu Max, mit dem er über intimste Fragen gesprochen hat, will er schon bald keinen Kontakt mehr haben und auch die Versuche von Max,  Martin in einer Art positiver Verstärkung aufzuzeigen, dass ein solcher Weg nicht zu ihm passt, zielen ins Leere. Es ist erschreckend zu erleben, wie sich Martin von Hitlers Ideologie vereinnahmen lässt. Er war keiner, wenn man heutige Begrifflichkeiten zugrunde legen wollte, der zu den „Angehängten“ zählte, was vielleicht noch verständlich machen würde, warum er plötzlich  ein Erstarken des Volkes – wozu er natürlich gehört – als notwendig erachtet. Dieser Martin brachte eine humanistische Bildung mit und ließ sich dennoch verführen. Wie aus dem Nichts hervorkommend, hat er plötzlich die Juden als Feindbild vor Augen – und spricht darüber auch ganz offen mit Max.

Das Buch rüttelt an Grundfesten, denn man würde es nach den ersten Seiten kaum für möglich halten, dass ein Martin eine solche Kehrtwende in seinem Leben vollzieht. Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Als Max‘ Schwester von Nazi-Schergen in Deutschland ermordet wird, nachdem Martin ihr, mit der er einst liiert war, Schutz versagt hat, reagiert Max auf eine Weise, die Martin in arge Bedrängnis bringen.

Das Buch wurde 60 Jahre nach der Erstauflage nochmal veröffentlich – jetzt in Frankreich und Deutschland und wurde zum Bestseller.

Kathrine Kressmann Taylor: Adressat unbekannt, Atlantik, 76 Seiten
aus dem Amerikanischen von Dorothee Böhm
mit einem Nachwort von Elke Heidenreich
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